Energietransport Teil II

In meinem letzten Artikel habe ich beschrieben, dass der Begriff der Energie unter anderem kulturell geprägt ist. Wenn wir aus dem „Westen“ also die asiatische Prägung des Begriffs verstehen wollen, müssen wir uns auch auf die asiatischen Übungsmethoden einlassen. Mir kommt es in diesem Artikel nicht darauf an, ein vollständiges theoretisches westliches Konzept zu entwerfen. Ich möchte mich mit Ihnen über meine Übungserfahrungen austauschen, indem ich versuche, dass was ich in meinem Körper spüre zu beschreiben. Zur Beschreibung benutze ich nicht chin. geprägte Begriffe, sondern Begriffe und Vorstellungen aus unserem Kulturkreis, die im besonderen physikalisch geprägt sind. Meine Absicht ist es allen, die wirklich trainieren wollen, eine Hilfestellung zu geben, damit sie sich nicht in irgendwelchen esoterischen Theorien verlieren. Das eigentliche Problem an dem Begriff Energie ist, dass es in den westlichen, wie auch in asiatischen Kulturen ein sehr abstrakter Begriff ist. Energie lässt sich physikalisch nur indirekt, also über andere Größen messen. Für Bewegung benötigen wir Energie. Um Wärme zu erzeugen brauchen wir Energie. Wärme ist eine Energieform. Letztendlich hat die Energie viele Gesichter und Eigenschaften. Energie kann z.B. gespeichert und transportiert werden. Wer asiatischen Bewegungskünsten praktiziert, kennt Erklärungen wie: „Die Energie läuft vom Dan Tien zur Wirbelsäule, dann weiter hoch bis in die Hand,…“ Aber was heißt das wirklich? Physikalisch betrachtet geht es hier um den Transport von Energie. Da ich mit der Energie mechanische Arbeit verrichten will, z.B. den Arm heben,… geht es also um den Transport von mechanischer Energie, um den Arm heben zu können. Niemand wird bestreiten können, dass wir dazu Muskeln benötigen. Der Impuls zur Muskelkontraktion wird elektrisch geleitet, die Energie bekommen wir durch die Umwandlung unserer Nahrung. Das wäre also der klassische Transport von Energie, wie sie auch in den westlichen Wissenschaften beschrieben wird. Den elektrische Impuls spüren wir zwar nicht, aber wir merken die Kontraktion des Muskels. Durch Technik und Physik wissen wir auch, dass Strom fließen kann, somit ergibt sich für uns ein rundes Bild, mit dem wir uns Bewegung erklären können. Ja, damit können wir auch das asiatische Model beschreiben: Der Bewegungsgedanke kommt auf, die Energie (= Strom) fließt, der Muskel bewegt sich! Klingt logisch, also haben wir es verstanden und brauchen nicht weiter zu forschen, auch wenn wir den Energiefluss nicht spüren können. Aber meinten die „alten“ Meister der Bewegungskünsten von Hunderten von Jahren wirklich dieses Model? Ich glaube nicht, da der messbare Strom sehr gering ist, dafür jedoch sehr schnell und somit kaum zu spüren. Außerdem gab es in dieser Zeit kein Wissen über Stromfluss, … Natürlich lässt sich nicht wirklich sagen, was sie meinten, aber das ist auch nicht wirklich wichtig. Lässt man sich allerdings auf die überlieferten Übungsmethoden ein und übt aufmerksam und fleißig, so lässt sich das Beschriebene spüren. Das man richtig liegt, kann an den überlieferten Fähigkeiten überprüft werden. Also, es muss noch zusätzliche, bzw. unterstützende „Energietransporte“ geben. Mechanische Energie kann z.B durch ein Gummiband übertragen werden. Wir alle kennen das: „Der Gummimotor“! Ein Gummiband wird aufgedreht und die Energie wird als Spannenergie gespeichert. Lassen wir los, wird die Spannenergie in Bewegungsenergie umgewandelt. Durch ein Gummiband lässt sich Energie speichern und die Bewegung kann übertragen werden. Wenn wir an einem Ende das Gummiband verdrehen, überträgt sich diese Verdrehung bis zum anderen Ende. Und in unserem Körper? Unser Gummiband ist das Fasziengewebe. (Ob es wirklich nur das Fasziengewebe ist, oder ob es sich um andere Gewebeschichten handelt, kann ich natürlich nicht sagen, es spielt aber auch nicht wirklich eine Rolle. Neue Forschungsergebnisse über das Fasziengewebe decken sich allerdings mit meine Erfahrungen.) Unser gesamter Körper ist von den Faszien durchzogen und es gibt Kontenpunkte, wo Gewebestränge zusammenlaufen. Wenn man es schafft diese Kontenpunkte zu drehen, so überträgt sich die Bewegung über das Gewebe in den ganzen Körper. Kann man diese Bewegung bewusst kontrollieren und steuern, lässt sie sich mit der Muskelbewegung synchronisieren. Hat man das erreicht, so hat man meiner Meinung nach die erste Stufe von dem erreicht, was gemeint ist mit „Qi und Li verbinden sich“ mit Qi ist Energie gemeint und mit Li Muskelkraft/Muskelenergie. Wieso erste Stufe? Weil es noch weitere, tiefere Möglichkeiten des Energietransportes in unserem Körper gibt, dazu mehr in späteren Artikeln. Interessant ist, dass diese Knotenpunkte im Unterbauch und im Brustbereich liegen. Also im Bereich des unteren und des mittleren Dan Tien. Dieser Transport von Energie/Bewegung ist spürbar! Der gesamte Weg lässt sich durch Spüren verfolgen. Wenn wir mit Achtsamkeit üben, können wir nach und nach den gesamten Weg vom Dan Tien (Unterbauch) bis in die Hände /Füße spüren und verstehen. Es entstehen somit Bewegungsmuster und wir erkennen, dass hinter den verschiedensten Bewegungen das selbe Muster steht. Chen Xiaowang sagt dazu: „10000 Wege, 1 Prinzip!“ Natürlich drängt sich eine Frage auf, warum ist es so schwer das Beschriebene zu spüren? Meiner Meinung nach gibt es dafür zwei Gründe:
1. Es fehlt eine Idee dazu, die ich hoffentlich mit diesem Artikel liefere.
2. Die meisten Menschen sind zu verspannt. Die Grundspannung auf dem Gewebe ist zu hoch. Deswegen kann die Bewegung nicht weitergeleitet werden. Stellen Sie sich in altes, sprödes Gummiband vor. Wenn Sie das verdrehen wollen, reißt es! Die Bewegung wird nicht weitergeleitet. Durch Stress, zu wenig Bewegung kommt es in unserem Fasziengewebe zu Verklebungen und Verdickungen. Die Bewegung kann nicht weiter geleitet werden, da die Elastizität fehlt. Zusätzliche Gelenkblockaden schränken unser Bewegungsfeld weiter ein. Wir können dann z.B den Arm in einem eingeschränkten Bereich isoliert bewegen, da wir die Muskeln trotzdem ansprechen können, aber die Bewegung wird nicht mehr vom ganzen Körper unterstützt. In den Bewegungskünsten gilt es aber gerade solche isolierten Bewegungen zu vermeiden. Bewegung soll im Unterbauch entstehen, sich von dort ausbreiten um schließlich wieder zum Unterbauch zu fließen. In dem nächsten Artikel werde ich meine Unterrichtsmethodik erläutern, um die eben beschriebene Bewegungsstufe erreichen zu können.
Interessant ist auch das folgende Video, in welchem Dr. Schleip genau die gleichen Aspekte von Bewegung aufgreift, allerdings von einem ganz anderem Ausgangspunkt. Er ist einer der weltweit führenden Forscher im Bereich der Faszien.

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