Energietransport im Körper – Teil I

Veröffentlicht in: Bewegung lernen, Faszien, Körperarbeit | 0

Dieser Artikel soll in eine kleine „Artikelreihe“ einführen, die das Anliegen von Jan Silberstorff aufgreift, welches er in seinem Geleitwort zum Chen Tai Chi Jahresheft der WCTAG geäußert hat.

„20Jahre WCTAG bedeutet nämlich auch, dass wir inzwischen diesen größten aller chinesischen Kulturschätze (Anm.: Gemeint ist das Tai Chi) inzwischen auch für uns im Westen gehoben haben. Das heißt aber ebenfalls, dass uns nun klar werden muss, dass, um ebenso gut zu werden wie unsere chinesischen Vorbilder, wir nicht mehr einfach nur Kopien Chinas bleiben können. Wir müssen unsere eigene Identität in dieser wunderbaren Kunst finden. …“
[Jan Silberstorff, WCTAG Jahresheft 2013, Editorial]

Es geht also nicht darum etwas Neues zu entwickeln, sondern es geht vielmehr darum, etwas altes, bestehendes mit anderen, unseren Worten zu erklären. Das dieses nötig ist liegt daran, dass die kulturellen Unterschiede zwischen asiatischen Philosophien und westlichen Wissenschaften sehr groß sind. Traditionelle Erklärungsmodelle in den Kampfkünsten und dem Qi Gong haben immer das körperliche, tatsächliche Spüren als Grundlage. Westliche Wissenschaften haben immer das logische Denken als Grundlage.
In allen chinesischen Körperkünsten, also den Kampfkünsten und natürlich dem Qi Gong nimmt der Begriff der „Energie“ ein zentrale Stellung ein. Asiaten haben aber kulturell einen ganz anderen Zugang zu diesem Begriff. Der Begriff „Energie“ (chin. Qi) prägt die chin. Medizin, die asiatischen Philosophien und Religionen ist also für jeden Asiaten allgegenwärtig. Natürlich ändern sich auch in den asiatischen Ländern die Lebensumstände, so dass der Zugang zu der wirklichen Bedeutung auch immer mehr verschwimmt. Allerdings nutzen alle Körperkünste die Energie in seiner ursprünglichen Bedeutung und zur Blüte der Körperkünste hatten auch die praktizierenden Asiaten den richtigen Zugang zu den Erklärungsmodellen. Der Begriff Energie und somit unser Zugang zu der Thematik, ist in den westlichen Kulturen maßgeblich durch die Physik geprägt worden. Dort ist die Energie eine physikalische Größe, die wir mathematisch beschreiben können.

Energie ist Kraft mal Weg!
Mehr nicht!

Wir können den Begriff logisch verstehen und experimentell messen. Wir benutzen den Begriff in abstrakten Erklärungsmodellen, um z.B. Naturphänomene zu erklären. Wir versuchen diesen abstrakten Begriff durch Eigenschaften zu beschreiben, um seine Bedeutung besser greifen zu können. Genau in diesen Eigenschaften liegt der Unterschied zur asiatischen Variante. Eine asiatische Eigenschaft des Begriffs ist nämlich, dass Energie spürbar ist. Wir können sie also wirklich körperlich fühlen, genauso wie wir Schmerzen, Berührungen,… fühlen können. Da Spüren, Fühlen keine objektive Messmethode ist, hat diese Eigenschaft keine Bedeutung in der Physik. Die asiatischen Erklärungsmodelle, die das Erklärungskonzept Energie „Qi“ verwenden, bleiben für viele „Westler“ somit nur logische Erklärungsmodelle, wie unsere physikalischen Theorien. In den Körperkünsten geht es aber nicht um das logische Verstehen, sondern um das körperliche Verstehen. Interessant ist die Frage: „Wie und wann sind denn diese „Erklärungsmodelle“ entstanden?“ Mathematik, Physik gab es da noch gar nicht in der Form! Die Menschen haben sich mit den Übungen körperlich beschäftigt. Immer und immer wieder, täglich über Jahrzehnte. Sie haben sich über ihre Erfahrungen ausgetauscht, in dem sie versucht haben, das was sie in ihrem Körper spüren in Worte zu fassen. So sind nach und nach, über Jahrtausende, Begriffe wie Energie geprägt worden, Erklärungsmodelle sind entstanden und wurden verfeinert. Inzwischen sind diese Modelle so umfassend geworden, dass es wahrlich unmöglich ist alles zu spüren. Aber das Fatale ist, dass wir uns inzwischen vortrefflich über diese Modelle intellektuell austauschen können. Das kommt unserer westlichen Wissenschaftsvorstellung sehr zu gute. Wir können sogar Bücher darüber schreiben, ohne zu trainieren! Ist das nicht wunderbar?
Aber mal ehrlich, worum geht es uns? Wollen wir Teil eines intellektuellen Zirkels sein, der sich ab und zu trifft und sich dabei ein bisschen bewegt? Oder wollen wir es wirklich verstehen?
Dann müssen wir unsere „Arbeitsweise“ ändern! Vergessen wir also den Begriff Energie, konzentrieren uns statt dessen auf die Trainingsmethode und machen unsere eigenen Erfahrungen. So können wir den Begriff „Qi“ für uns neu entdecken und prägen. Wenn wir uns an eine klassische Übungsmethode halten, einen Lehrer haben der uns begleitet, dann werden wir die wahre Bedeutung des Begriffs Qi nach und nach körperlich erfassen. Wir werden feststellen, dass unsere physikalische Vorstellung von Energie nicht falsch ist. Wir entdecken Gemeinsamkeiten und können Erklärungsmodelle übertragen. Nur ein Fehler dürfen wir nicht machen: Nicht so viel versuchen logisch zu erklären!
Wir müssen erst spüren, denn dann können wir körperlich verstehen. Erst danach können wir versuchen, uns das Gespürte logisch zu erklären. Allerdings dürfen wir nicht zu früh mit der Logik anfangen.
Eine guter Vergleich ist z.B. das Heizungssystem in einem Haus. In einem Kessel im Keller wird Wasser erhitzt. Durch die Rohrleitungen wird das heiße Wasser dann im Haus verteilt. Die Energie wird in Form von Wärme von den Heizkörpern abgeben. Wenn der Raum warm wird, spüren wir das körperlich. Wir wissen dann sofort, dass die Heizung funktioniert. Wir wissen, aufgrund unseres Verstandes, dass das heiße Wasser aus dem Keller durch Rohre transportiert wurde. Ohne es zu sehen, oder zu spüren. Die Energie ist angekommen! Das funktioniert auch, ohne das wir den ganzen Prozess verstehen. Jeder der übt, hat mit Sicherheit schon mal Wärme in der Hand gespürt, ein Kribbeln im Arm, … Darüber freuen wir uns, da es ein Zeichen dafür ist, dass Energie angekommen ist oder fließt. Wir dürfen uns auch darüber freuen, weil es ein Zeichen für einen tieferen Entspannungszustand ist! Aber das heißt noch lange nicht, dass wir verstanden haben! Wenn wir jetzt ständig versuchen dieses Gefühl wieder zu finden, dann verlassen wir unser eigentliches Ziel: Das Verständnis des gesamten Energiekreislaufs. Erst wenn wir den Energietransport wirklich im Ganzen Körper spüren, vom Kessel bis zum Heizkörper, können wir ihn auch in seiner Gesamtheit verstehen.

In einem folgenden Artikel werden ich versuchen den physikalischen Energiebegriff zu nutzen und Parallelen zum chin. Energiebegriff aufzuzeigen. Ziel soll sein, den Weg des „körperlichen Spüren“ zu verdeutlichen. Ich möchte ein Erklärungsmodell entwerfen, das unsere westlichen Vorstellungen nutzt, um den klassischen, chinesischen Übungsweg besser zu verstehen.
Interessant ist auch das folgende Video, in welchem Dr. Schleip ein von ihm und anderen herausgegebenes Buch vorstellt. Dort wird unter anderem erklärt, wie ein „Energiegefühl“ in unserem Körper wahrgenommen werden kann. Dr. Schleip ist führenden Forscher im Bereich der Faszien.
[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=uIzG4cyJ7-g]

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